Das Jahr 2018

Nachdem es jetzt schon der dritte Winter war, den ich im Wienerwald verbrachte, fühlte ich mich schon einigermaßen routiniert im Umgang mit den winterlichen Besonderheiten dieses Platzerls und dieses 200 Jahre alten Hauses.

Ich weiß, dass hier oft 2 Monate oder länger Schnee liegen können.
Ich weiß, dass es hier wirklich kalt werden kann.
Ich weiß, was ich mit meinen Hühnern tue, wenn es draußen minus 20° bekommt.
Ich weiß, wieviel Holz ich ungefähr brauche.
UND – ich weiß vor allem, wie ich es mir im Winter in meinem Atelier gemütlich machen kann.

Ich habe viele verschiedene Strategien und Problemlösungen, den jahreszeitlichen Anforderungen entsprechend, entwickelt – diese sind zu einer Art Rhythmus geworden. Ich mag diesen Rhythmus, es ist ein guter, einer, der einen trägt, der einen guten Takt für das Leben vorgibt, der in seiner Wiederholung Sicherheit, Voraussicht und Stabilität gibt. Auf diesem Grundrhythmus aufbauend, kann ich dann auch ein bisserl experimentieren, improvisieren, mich was trauen, ein bisserl Seiltanzen, mich einen Schritt in noch nicht Dagewesenes wagen. Und auch wenn Unvorhergesehenes kommt, das einem dann aus der Bahn zu werfen droht, bleibt dieser Rhythmus wie eine beruhigende Basis bestehen.

Dieser Rhythmus hat sich zwischen meiner Person, dem Ort, an dem ich jetzt lebe und der Natur entwickelt. Ich habe Natur noch nie so intensiv und stark (stark in der doppelten Bedeutung – als intensiv, als auch als Stärke) erlebt wie hier – und sie ist wohl die einzige Autorität, die ich bedingungslos akzeptiere.

Winterzeit ist Sissizeit, ist Atelierzeit. Bilder dürfen einfach entstehen.

Und während ich mich dem Weiß und der feinen Struktur, dem Finden von Lösungen, mit denen ich zufrieden bin, und dem Einheizen hingab, kam der Februar und mit dem Februar auch wieder die Sonne auf mein Grundstück. Und mit den ersten Sonnenstrahlen und den länger werdenden Tagen weiß ich mittlerweile auch, dass es Zeit ist, die ersten Samen in die Erde zu stecken und sie auf meinem Fensterbrett wachsen zu lassen.

Und bald darauf beginnen meine Hühner auch wirklich viele Eier zu legen und so ist es dann auch schon wieder an der Zeit, mit dem Vorkochen für den Sommer zu beginnen. Viele Grießnockerl, viele Frittaten und Kuchen – so sind die vielen Frühlingseier gut zu verwerten.

Mit dem Mehr an Sonne und Wärme wird die Zeit im Atelier weniger. Zu Ostern kommen die ersten Gäste, und auch im Garten ist so einiges zu tun. Und an den Wochenenden kommen wieder liebe Menschen, die die Natur, den Frühling, den Bach und das Werkln genießen.

- Eltern gönnen ihren Kindern ein Wochenende Auszeit aus Stadt und Schule.
- Töchter schenken gemeinsame Werklwochenenden ihren Mamas zu Weihnachten.
- Paare genießen einen Kurzurlaub ohne Kinder – diese verbringen mit mir in Corona eine gute Zeit.
- Langjährige Freundinnen schenken sich gemeinsame Werklwochenenden zu runden Geburtstagen.
- Ehemalige SchulkollegInnen treffen sich zu einem gemeinsamen Wochenende bei mir.
- UND – und das ist eine Premiere gewesen: eine Familie hat beschlossen, anstatt eines gemeinsamen Städteurlaubs, zur Sissi in den Wienerwald werkln zu kommen. Zwei Mädels, 13 und 17 Jahre (sie waren früher im Sommer oft bei mir) kamen mit ihren Eltern – und somit auch der erste werkelnde Mann.

Ich freue mich sehr darüber, dass die unterschiedlichsten Menschen sich bei mir an den Wochenenden einfinden – und es genießen können. Und es sind nicht meine Programmangebote, sondern die Menschen, die mich und mein Platzerl kennen, erfinden immer wieder neue Kombinationen und Anlässe, um zu mir zu kommen.

Am 13. Mai ist dann meine Henne Rebellissi auf den Eiern sitzen geblieben. Nachdem im Vorjahr der Marder alle vier Eier, auf denen sie saß, gefressen hat, war ich heuer natürlich sehr bemüht, auch ja nichts falsch zu machen. Da einem aber alle Leute, die man fragt, die Sachbücher und die Internetforen ganz unterschiedliche Auskünfte geben, ist es gar nicht leicht die Sache richtig zu machen. Aber am 4. Juni ist es dann soweit gewesen – „mein“ erstes Küken ist geschlüpft.

Viel Beobachten, auf vieles draufkommen und immer wieder bemerken, wie wenig man eigentlich von diesen Dingen und Zusammenhängen weiß, die allen Menschen früher so geläufig waren wie das Einmaleins. Aber es ist für mich so aufregend und bereichernd, das alles erleben zu können und auf viele Fragen Antworten zu bekommen und einen Haufen neuer Fragen dazu.

Der Sommer rückte näher und die Planungen und Vorbereitungen schritten voran und auch das Datum 1. Juli 2018. Dieses Datum war insofern spannend, als ich dann Bilanz über mein „erstes Jahr Selbstständigsein“ ziehen konnte. Doch schon Anfang Juni war klar – mein erstes Jahr war ein gutes Jahr und mein Reservepolsterkonto ist nicht nur nicht angeknabbert worden, sondern es ist sogar ein bisserl mehr als vor einem Jahr drauf. Zufriedene Feierstimmung hat sich in mir breit gemacht. Es könnte echt was werden mit meinem Projekt.

Dieser guten und zufriedenen Stimmung machte dann ein Brief vom AMS ein jähes Ende. Sie schrieben mir, dass ich das Bildungskarenzgeld von Jänner bis Juni 2017 zurückzahlen muss, weil ich zu diesem Zeitpunkt schon selbstständig war. Zuerst dachte ich noch an einen dummen Irrtum, weil ich ja wusste, dass ich erst ab 1. Juli selbstständig war. Doch mit wiedermal vielen Wegen auf Ämtern, gefühlten 50 Telefonaten und Emails wurde mir die Behördenlogik klar. Die SVA rechnet in ganzen Kalenderjahren und weil sie das tut, gibt sie auch an, dass ich seit 1. Jänner selbstständig bin und auch bei ihnen versichert war. Dass das in der Realität nicht so war und auch meine Arztbesuche über die WGKK abgerechnet wurden, spielt dabei keine Rolle. Das war wieder einer der Momente, in denen ich nur fassungslos war, was Ämter und Behörden alles so bestimmen können – sogar gesetzliches legetimiertes Realtätenverdrehen ist da drin. Und wieder waren es gute Geister, diesmal in Form meiner kämpferischen Beraterin Ulli, die mir eine tolle Berufung aufgesetzt hat. Und wider allen Einschätzungen zum Trotz, hat das AMS die Forderung mehr als halbiert. Diese Summe hat sich dann schon einigermaßen bewältigbar angespürt, aber Ulli meinte: Schön und gut, aber immer noch zu viel und hat mir eine neuerliche Berufung aufgesetzt – diese liegt jetzt beim Bundesverwaltungsgericht.

Solche Erlebnisse meinte ich, als ich zu Beginn von „aus der Bahn werfen“ schrieb. Ich glaube ja auch, dass mir das Emotionale, dass da etwas total unfair sein darf und rechtens ist, mich viel mehr belastet hat als das Finanzielle. Aber der Rhythmus geht weiter und so kamen am Sonntag, den 1. Juli, die ersten Werklwochenkinder und wir haben gemeinsam eine gute, aufregende und produktive Sommerzeit gehabt.

Und auch nach drei Jahren intensiven Werklwochensommern bin ich überzeugt von dem, was ich mache, was ich den Kindern und Jugendlichen anbiete und viele können sich gute Momente, Stimmungen und viel Stolz auf ihr Geschaffenes mitnehmen. Und auch die Abholtage mit der kleinen Ausstellung im Wohnzimmer sind für mich immer wieder aufs Neue schön. Kinder zeigen stolz ihre Werke, oder lassen ihre Eltern raten, was sie gemacht haben – und diese kleine Präsentation gibt auch immer wieder einen guten Einblick, was in so einer Woche alles entstanden ist. Und das ist wirklich viel.

Skulturen aus Ytong
Wunschfähnchen, Siebruck auf Stoff, gefärbt
Berühmte Kunstwerke, nachgespürt und nachgestellt
Freundschaftsbänder – japanische Flechttechnik
Bachsteine mit selbst gemachter Farbe aus Naturmaterial
- und der Klassiker: Acrylbilder malen

Und neben all diesen intensiven Werkl- und Schaffensphasen ist noch Zeit, um im Wald Lager zu bauen, sich in aller Ruhe dem Streicheln des Hahnes zu widmen, sich mit gefundenen toten kleinen Schlangen in Szene zu setzen, Raupen und vieles mehr zu entdecken – oder einfach den Platz an Bach, Wald und Wiese zu genießen.

Und im September habe ich dann mit dem jahreszeitlichen Rhythmus gebrochen. Es stand nicht Ausschlafen und Erholen am Programm wie sonst, sondern der erste Teil meiner letzten großen Umbauetappe. Mit dem Abgraben des Bodens, dem Abschlagen des alten Putzes, dem Verlegen einer Wandheizung und dem Neuaufbau eines trockenen und kapillarbrechenden Bodens, habe ich gewartet, bis ich mir sicher war, dass ich nicht doch wieder nach Wien gehen möchte. Dieser Umbau macht erst Sinn, wenn ich weiß, dass ich die nächsten Jahre hier leben möchte – und da sich das mittlerweile klar herausgestellt hat, habe ich mich in ein weiteres, großes Umbauabenteuer gestürzt. Hier nur ein paar Bilder.

Zwei Monate intensiven Arbeitens auf meiner Baustelle haben wirklich viel verändert. Und wer nächstes Jahr zu mir kommt, der kann dann schon in der neuen Essecke speisen und meine hochmoderne Küche bewundern. Diese Veränderungen werden jetzt in den nächsten Monaten stattfinden, also ist diesmal Winterzeit nicht nur Atelierzeit, sondern auch wieder ein bisserl Baustellenzeit.

Heuer neu war auch das Weidezelt in meinem Garten. Hier noch einmal Dank an die vielen lieben Freunde und Freundinnen, die eigentlich gekommen sind, um mit mir meinen 50iger zu feiern und dann aber alle mitgeholfen haben, dieses Monstrum aufzustellen. Die Kinder liebten es im Heu zu schlafen und auch untertags war es ein beliebter Rückzugsort, um etwas zu spielen, Bandeln zu flechten, oder einfach ein bisserl unter sich zu sein und ungestört über wichtige Dinge quatschen zu können.

Leider war es eines Tages im Oktober nicht mehr da – und ich musste beim morgendlichen Hühnerfüttern erst genauer hinschauen, um zu sehen, wo es war. (Das letzte Bild ist ein Suchbild!)

Aus dem Küken ist, wie ich anfangs glaubte und hoffte, keine Benedikta geworden, sondern ein eindeutiger Benedikt – und somit war auch sein Schicksal besiegelt. Es war auch wieder eine ganz neue Erfahrung, ein Tier zu schlachten – und viele Fragen und Gedanken haben sich rund um dieses Ereignis aufgetan. Aber es hat mich auch ein bisserl stolz gemacht. Es wurde unser Weihnachtsbraten und meine Töchter und ich fanden, dass Benedikt wirklich sehr gut geschmeckt hat.

Es werden einem Verbindungen und Zusammenhänge auf eine Art und Weise klar, wie sie das durch Lesen von Büchern und Betrachten von Schautafeln und Anleitungen nicht werden.

Und wenn dann beim letzten Adventwerklwochenende neben den schon bekannten Kindern auch noch das eigene „große“ Kind mitmacht, um einfach Zeit mit der Mama zu verbringen, dann kann man eigentlich nur glücklich befinden, dass dieses Jahr ganz wunderbar zu Ende gegangen ist.